Aus wenigen Versatzstücken von Möbeln, Türen und Wandflächen setzen sich die bruchstückhaften Interieurs in den Bildern von Sibylla Walpen zusammen. Es bleibt unklar, ob es sich beim einen oder anderen Bild um einen Dachstock, ein Kaminzimmer oder einen Salon handelt. Leichte Verschiebungen der räumlichen Perspektive und variierende Grössenverhältnisse einzelner Elemente steigern die skurrile Stimmung der digitalen Collagen. Sibylla Walpen geht es um mehr als bloss um ein formales Spiel mit Farbflächen und ausgeschnittenen Formen: Vielmehr entwirft sie virtuose Räume zwischen Kulisse und realem Wohnraum. Die Künstlerin bedient sich einem Fundus von Bildern, die sie den Verkaufsangeboten für Häuser aus dem Internet bei Immobilienmaklern entnimmt. Mit einer ausgeprägten Sensibilität für Materialien und Details, aber auch mit Schalk und Humor, eignet sie sich verschiedene Bildelemente an und kombiniert diese zu neuen räumlichen Gefügen. Dabei nimmt sich die Künstlerin die Freiheit heraus, die Dimensionen selber festzulegen: Ehemals plane Flächen werden kurzerhand gefaltet, und es entstehen neue Volumen, Formen und Grundrisse. Die Faltungen und Überlagerungen treibt sie bisweilen so weit, dass unerkenntlich wird, wie die einzelnen Teile im Raum angeordnet und aufeinander ausgerichtet sind.
Es sind so künstliche wie verlassene Räume, und die Betrachter übernehmen unweigerlich die Rolle von neuen Bewohnern, die ihre eigene Geschichte in die mithin intimen und nostalgisch anmuten-den Bildräume hineindenken. Es klingt auch der Strukturen- respektive Generationenwechsel von Häusern in abgelegenen Dörfern an, welche von der Abwanderung leerstehend auf eine neue Nutzung warten. Die Bilder pendeln so zwischen entleertem und erfülltem Raum, zwischen fragmentiertem und collageartig verdichtetem Bild. Dies erinnert an die Collagen der Dadaisten und Kubisten, etwa von Kurt Schwitters, wobei ebenso gut seine Merzbauten – jene beständig weiter wuchernden, ver-schachtelten Interieurs – eine Referenz sein könnten. Während die Gesetze der Perspektive scheinbar ausgehebelt werden, wirkt das Unwirkliche auf einmal sonderbar wirklich. Die Assemblage entspringt einer bunten Welt von Möglichkeiten und Realitäten, die uns bisweilen sehr vertraut erscheinen.
Der Umgang mit Flächen und Ebenen, mit Materialkombinationen, -irritationen und -imitationen, die sich plötzlich wieder als echt herausstellen, ist auch bei den grossformatigen Arbeiten augenfällig: zumal die Schatten eigentümlich materielle Gestalt annehmen oder die Ansicht eines hölzernen Schrankes tatsächlich auf Holz gedruckt ist. Die Werke von Sibylla Walpen sind gezeichnet von der Neugier, die Wirkung von Materialien und Objekten immerzu neu zu befragen und wie in der Videoistallation Teppichgeschichte gefestigten Vorstellungen scheinbar nonchalant ein Bein zu stellen.
Franz Krähenbühl und Galerie Béatrice Brunner, 2015