Was hätte man, noch vor wenigen Jahrzehnten, als Kunstwerk bei oder in einer Turnhalle aufgestellt und das auch erwartet? Selbstverständlich einen athletischen Jüngling, vielleicht einen Speer- oder einen Diskuswerfer oder einen Läufer. Und selbstverständlich wären das Bronzefiguren gewesen, die auch zu allerlei Schabernack verführt hätten, etwa zum Anbringen eines Lendenschurzes. Vielleicht hätte man zudem eine ergänzende Inschrift angebracht: „Mens sana in corpore sano“ und damit unterstrichen, welche Botschaft der bronzene Athlet metaphorisch verkündet.
Von derartigen Bronze-Athleten ist die Kunst-am-Bau-Intervention in der neuen Turnhalle weit entfernt, auch zeitlich. Denn sowohl die nackten Skulpturen, die man vor allem in den 1920er- und 1930er-Jahren mit Vorliebe aufstellte, als auch das Nicht-Vorhandensein solcher Figuren erzählt indirekt etwas über die vorherrschende Körperkultur und, entsprechend, etwas darüber, welche Funktion der Turnunterricht hat.
Vor dem Gebäude also keine Figur, im Entree ebenfall keine Figur. Und doch gibt es gleich nach dem Eingang, an der Wand des Couloirs, das zur Turnhalle hinunterführt, etwas zu sehen, das vielleicht stutzig macht: Es ragt eine nackte Hand heraus, die irgendetwas in Richtung der Hallen wirft, eine zweite Hand bildet das Pendant. Sie scheint dieses geworfene Irgendetwas aufzufangen – ein virtuelles Wechselspiel also, wie es im Turnunterricht wohl beim Ballspiel hie und da reell geschieht. Hin und her, von hier nach da und – so bei den plastischen Händen zumindest imaginär – wieder zurück, nicht immer, aber hie und da.
Genau so, „hie und da“, heisst die gesamte Kunstintervention, die Sibylla Walpen für das neue Schulgebäude in Thun konzipiert hat. Der Hauptteil von „Hie und da“ befindet sich im Hauptgebäude. Auch dort ist ein muskulöser Athletenarm Teil des Ensembles, das aus Fragmenten von verschiedenen Skulpturen besteht, die die Künstlerin im weiten regionalen Einzugsgebiet der Schule gefunden hat. Es sind alles Teilrepliken, die gescannt und dann in einem komplexen Kopierverfahren aus Kunststoff wiederum in 3D geformt, schliesslich pink eingefärbt wurden. Sie ragen im Bereich der Mensa aus der Sichtbetonwand und finden nun im Turngebäude ihre Fortsetzung oder Ergänzung, allerdings nur in zwei Teilen, die beide von der gleichen Skulptur stammen: einem martialischen Athleten, der in Hünibach am Seeufer steht und etwas in weitem Bogen ins Wasser zu werfen scheint. Von diesem Mann sind die beiden Hände abgenommen, die werfende und die fangende. Teile des Athleten haben so eine neue Reise angetreten, nachdem die Figur, die vermutlich aus den 1930er-Jahren stammt, erst nach etlichen, nicht mehr genau rekonstruierbaren Stationen nach Hünibach gelangt ist.
So nimmt diese Intervention wie die anderen Skulpturenfragmente im Hauptgebäude eine Bewegung auf, die zum Alltag der Schülerinnen und Schüler gehört: Sie kommen aus Thun, aus Spiez, Zweisimmen oder eben Hünibach in das Schulhaus Schadau und gehen nach dem Unterricht wieder nachhause – sie sind hier und da, sie sind hie und da hier. Und sie wechseln während der Unterrichtszeit vom Schulhaus in die Turnhalle und wieder zurück.
In Bezug auf den spezifischen Ort kommt noch etwas hinzu, gleichsam eine indirekte, also keineswegs plakative Botschaft: Indem die Künstlerin spielerisch mit dem muskelgestärkten Körper umgeht, indem dieser nur eine fragmentarische Präsenz hat, wird eine Aussage zum Turnunterricht gemacht. Es geht, auch wenn hart trainiert wird, in erster Linie um einen spielerischen, um einen unverkrampften Umgang mit dem Körper. Und dieser kann Spass machen, locker sein wie es die beiden Hände vormachen, die sich etwas zuwerfen, nach unsichtbaren Spielregeln zwar, aber ohne immer gleich unbedingt ans Siegen zu denken. Welche der beiden Hände flinker und geschickter ist, das lässt die Wandskulptur offen.
Konrad Tobler